Nichtautonome, zeitvariante und geschaltete Systeme
Systeme heißen nichtautonom oder auch zeitvariant, wenn die Beschreibung der Systemdynamik explizit von der Zeit abhängt. Derartige Systeme entstehen einerseits, wenn im Prozess der Modellierung dynamische Effekte vernachlässigt werden sowie durch Linearisierung entlang von Lösungen autonomer nichtlinearer Systeme.
Geschaltete Systeme modellieren Unsicherheiten in Parametern, die sich abrupt ändern können oder auch Entwurfsansätze, die eine bestimmte Dynamik durch das Schalten zwischen einzelnen Systemen erzeugen.
Wir befassen uns mit Fragen der Stabilität und Stabilisierung innerhalb dieser Systemklassen. Stabilitätseigenschaften werden durch exponentielle Wachstumsraten charakterisiert, die sogenannten Bohl- und Lyapunovexponenten.
Bei geschaltenen Systemen führt die entsprechende Begriffsbildung auf den verallgemeinerten Spektralradius von Matrizenmengen. Zur Charakterisierung dieser Größen werden verschiedene Klassen von Lyapunovfunktionen verwendet, deren Untersuchung in den letzten Jahren eines der wesentlichen Arbeitsgebiete der Gruppe waren.
Geschaltete Systeme können insbesondere eingesetzt werden, um Modelle des Transmission Control Protocol (TCP) herzuleiten. Dieses Protokoll ist ein zentraler Bestandteil der Regulierung des Datenverkehrs im Internet.
Eine weitere wichtige Charakterisierung der Dynamik nichtautonomer Systeme ist durch die Entropie gegeben.
Die Entropie eines dynamischen Systems ist eine reelle Größe, die ein grobes Maß für die Zuwachsrate an dynamischer Komplexität, wenn sich das System in der Zeit entwickelt, darstellt. Je nachdem, in welcher Kategorie dynamischer Systeme man arbeitet, gibt es verschiedene Definitionen von Entropie.
In der maßtheoretischen Kategorie ist der Begriff der Kolmogorov-Sinai-Entropie (auch maßtheoretische oder metrische Entropie genannt) die korrekte Wahl. Hier wird die Dynamik klassischerweise durch eine messbare Abbildung auf einem Wahrscheinlichkeitsraum modelliert. Die Entropie ist eine Invariante unter geeignet definierten Isomorphismen und hat auch eine informationstheoretische Interpretation. Sie gibt an, wie viel Information man in einem Zeitschritt im räumlichen und zeitlichen Mittel über den Anfangszustand erhält. Sie ermöglicht zahlreiche Klassifizierungsresultate und hängt eng mit den Lyapunov-Exponenten zusammen.
In der Kategorie der topologischen dynamischen Systeme lässt sich der Begriff der topologischen Entropie definieren. Hier wird die Dynamik klassischerweise durch eine stetige Abbildung eines kompakten metrischen Raums modelliert. Einen quantitativen Zusammenhang der beiden Größen liefert das Variationsprinzip. Jede stetige Abbildung auf einem kompakten metrischen Raum hat mindestens ein invariantes Wahrscheinlichkeitsmaß, das auf der Borelschen σ-Algebra definiert ist. So wird aus einem topologischen System auf natürliche (aber nicht auf kanonische) Art ein maßtheoretisches System, für das die maßtheoretische Entropie erklärt ist. Das Variationsprinzip besagt, dass die topologische Entropie das Supremum der möglichen maßtheoretischen Entropien für das System ist. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich eine sehr schöne und reichhaltige Theorie.
Es stellt sich nun die Frage, ob maßtheoretische und topologische Entropie auch für nichtautonome dynamische Systeme sinnvoll definiert werden können, und ob sie hier ähnliche Bedeutungen haben. Hier sind noch viele Fragen offen. Insbesondere die allgemeine Gültigkeit eines Variationsprinzips wurde bis jetzt weder bewiesen noch widerlegt. Viele Hilfsmittel der klassischen Theorie stehen für nichtautonome Systeme nicht zur Verfügung, was die Entwicklung dieser Theorie besonders anspruchsvoll und spannend macht.